Pädagogische Qualität in der Kunstvermittlung

Titel

Pädagogische Qualität in der Kunstvermittlung. Rekonstruktion konjunktiven Wissens und normativer Orientierungen von Museumspädagog*innen über die pädagogische Arbeit mit Kita-Kindern

 

Bearbeiter/-innen

Prof. Dr. Fabian Hofmann

Laufzeit

1/2017 bis 12/2022

Kooperationspartner

Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Kurzbeschreibung

Schon seit einigen Jahren wird die Frage nach der Qualität der Kunstvermittlung kontrovers diskutiert (Liebald 2010, Fuchs 2014, Rat für Kulturelle Bildung 2014, Fuchs 2015). Sie ist wichtig und nicht leicht zu beantworten: Sehr unterschiedliche Qualitätsdiskurse bestehen nebeneinander, beispielsweise über Rahmenbedingungen oder Qualitätsmanagement, und häufig sind Fragen nach Qualität mit Fragen nach der Legitimation von Kunstvermittlung verbunden (Rat für Kulturelle Bildung 2014, S. 100 ff., Fuchs 2014, Unterberg 2018). Auffällig selten wird die Qualität pädagogischer Interaktionen fokussiert.

Das Forschungsprojekt „Pädagogische Qualität in der Kunstvermittlung (PädQ)“ ging der Frage nach, an welchen Qualitätskriterien Kunstvermittler*innen ihre Arbeit ausrichten und wie sich diese Orientierungen in der pädagogischen Praxis manifestieren. Untersucht wurde dabei auch, welche Vorstellungen von Kunst und der Institution des Museums vorhanden sind und wie sich diese auf die Orientierungen in der Vermittlung auswirken. Qualitätsdiskurse sind immer auch Machtdiskurse, „bei denen es darum geht, wer das Deutungsrecht bei der Beurteilung der Arbeit hat“ (Fuchs 2018). Ziel des Projekts war es nicht, eine Deutungshoheit zu behaupten und einen bestimmten Begriff von Qualität zu definieren, anhand dessen die pädagogische Praxis bewertet werden sollte. Vielmehr ging es darum, einen Prozess zu initiieren, in dem mit Kunstvermittler*innen und Studierenden die Bedeutung der Frage nach der Qualität an sich und die Existenz unterschiedlicher Orientierungen verhandelt wurden. In einem dialogischen, mehrstufigen Verfahren sollten die bestehenden Orientierungen am Beispiel konkreter Vermittlungssituationen untersucht werden.

Forschungsfrage und methodisches Vorgehen

Das Projekt ging davon aus, dass Pädagog*innen „gute“ Kunstvermittlung betreiben möchten, also ein (wie auch immer geartetes) Verständnis von Qualität in der Kunstvermittlung haben. Folgt man der Wissenssoziologie (Mannheim 1964) und der darauf aufbauenden Theorie von Profession als sozialer Welt (Nittel 2011), so ist dieses Verständnis nicht nur individuell, sondern auch konjunktiv: Kunstvermittler*innen teilen auch ein gemeinsames Verständnis von Qualität. Denn soziale Gruppen erwerben ihr Alltagswissen über einen gemeinsamen Erfahrungsraum (Milieu, Institution, Ausbildung, Generation, Berufsgruppe …). Im Forschungsprojekt sollten ein solches geteiltes Wissen über Qualität bzw. vorhandene Orientierungen in Bezug auf Qualität herausgearbeitet und mithilfe der Dokumentarischen Methode (Bohnsack 2010; Bohnsack und Nentwig-Gesemann 2010) expliziert werden.

Die Forschungsfrage lautete: Welche Orientierungen haben Pädagog*innen bei der Kunstvermittlung im Museum?

Der Forschungsprozess war qualitativ-empirisch angelegt, und so wurde pädagogische Praxis beobachtet, und die Orientierungen der Kunstvermittler*innen wurden interpretativ erschlossen. Gegenstand der Untersuchung waren Vermittlungsformate mit Kita-Gruppen im sogenannten „Kleinen Studio“ der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, einer auf frühpädagogische Projekte ausgerichteten Werkstatt im K21. Die videografische Erhebung in diesem Projekt umfasste vier Kita-Gruppen, die jeweils an einem Workshop von 90 Minuten teilnahmen. Im Ablauf übernahmen die Studierenden die Rolle der Beobachter*innen, die Kunstvermittler*innen die der Beobachteten.

Orientierungen wurden mittels Dokumentarischer Methode rekonstruiert und in einem abschließenden gemeinsamen Workshop im Forschungsteam mit den Kunstvermittler*innen und Studierenden diskutiert.

 

Erkenntnisse und Ausblick

Als Ergebnisse im Hinblick auf Qualität, auf „gute“ Kunstvermittlung, lassen sich sowohl individuelle als auch kollektive Orientierungen identifizieren. Bei den kollektiven Orientierungen ist eine Orientierung an Doppelfiguren erkennbar, d.h. an Aspekten, die gleichzeitig als Vorbild und als Negativbeispiel fungieren. Beispielsweise diente die Vorstellung einer abstrakt-lebensfernen Institution Museum zur Abgrenzung (handlungsorientierte Vermittlungspraxis), aber auch als Bezugspunkt (Thematisierung dieses Konzepts). Auch wurde das Museum von der Welt der Kinder unterschieden, ihr in den Workshops jedoch auch immer wieder angenähert (z.B. Singspiele im Museum). Und Kinder wurden als Künstler*innen behandelt, dann aber wieder von Künstler*innen abgegrenzt. Diese Orientierung an Doppelfiguren ist offenbar eine spezielle Anforderung an Kunstvermittlung.

Die Orientierungen konnten weitgehend auf die Ausbildung, den Fachdiskurs sowie Fortbildungen, den Austausch und die Kultur der auftraggebenden Institution zurückgeführt werden. Es sind also professionelle Orientierungen. Dies war insofern interessant, als der Pädagogik oft unterstellt wird, unprofessionell, quasi „aus dem Bauch heraus“ zu arbeiten. Dass hingegen die Fachlichkeit so klar rekonstruierbar war, stimmt optimistisch.

Die Professionalität von Kunstvermittlung ist als Vermittlung von Spannungen, Kontingenzen und Widersprüchen zu verstehen. Daraus ergibt sich auch die Notwendigkeit selbstreflexiver Prozesse. Im Projekt zeigte sich, dass qualitativ-empirische Forschung zu einem Thema, bei dem es um Orientierungen und Wertvorstellungen geht, eine Form der Intimität herstellt. Die Beteiligten kamen dem Forschungsgegenstand und einander sehr nah, erhielten detaillierte und tiefgehende Einblicke, die nicht immer angenehm waren. Daher war von allen Seiten Vertrauen und Achtsamkeit gefordert. Wie deutlich wurde, bergen gleichzeitig genau diese Einblicke und die daraus resultierenden Möglichkeiten der Selbstreflexion ein großes Potenzial für die Professionalisierung des Feldes.

Die Erfahrungen und Erkenntnisse des Projektes führten zur Entwicklung des Studienganges Kultur-Bildung-Teilhabe. Kunst & Pädagogik in der frühen Kindheit. (M.A.).

Fachliche Zuordnung

Forschungscluster III

Mittelgeber/Förderer

Robert Bosch Stiftung

 

Link
Kunstsammlung.de
Projektphasen

Das Projekt war gegliedert in vier Projektphasen:

1) Qualitätsmaßstäbe mit den Praktiker*innen aufspüren und reflektieren

2) Analyse der museumspädagogischen Praxis durch videografische Begleitung in der Kunstsammlung NRW

3) Auswertung mittels Dokumentarischer Methode; Publikation der Forschungsergebnisse, Sensibilisierung des Feldes

4) Multiplikation durch die Klausurtagung „Woran orientieren wir uns in der Kunstvermittlung im Museum? Qualität – Normativität – Macht – Politik“ mit Prof. Dr. Nora Sternfeld, Dr. Lisa Unterberg und weiteren führenden Akteur*innen der Kunstvermittlung im Museum

In der ersten Phase des Projekts wurden Museumspädagoginnen der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, die sich auf die pädagogische Arbeit mit Kindergartenkindern spezialisiert haben, videografisch begleitet. Das so gewonnene Videomaterial wird in einem zweiten Schritt nach der Dokumentarischen Methode (Bohnsack und Nentwig-Gesemann 2010) analysiert und schließlich mittels reflektierender Interpretation der Umgang mit Orientierungsrahmen der Pädagoginnen und Pädagogen herausgearbeitet.

Veröffentlichungen

Hofmann, Fabian (Hrsg.) (2020). Pädagogische Qualität in der Kunstvermittlung. Was ein Forschungsprojekt im Museum leisten kann. Münster und New York: Waxmann. [Link]

Hofmann, Fabian (2020). Reflexion und Professionalität. Über ein Forschungsprojekt zur pädagogischen Qualität in der Kunstvermittlung und über Perspektiven der Theorie-Praxis-Interaktion in der Kulturellen Bildung. In E. Pürgstaller, S. Konietzko, & N. Neuber (Hrsg.), Kulturelle Bildungsforschung. Methoden, Befunde und Perspektiven. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH; Springer VS.

Hofmann, Fabian (2019). Videografie in der kunstpädagogischen Forschung. Erfahrungen und Hinweise. BDK-Mitteilungen(4), 30–33.

Hofmann, Fabian (2019). Qualität in der Frühkindlichen Kulturellen Bildung. Überblick und Perspektiven. In Robert Bosch Stiftung (Hrsg.), Positionen Frühkindlicher Kultureller Bildung (S. 215–223). München: kopaed.

Hagenberg, Julia, Hofmann, Fabian, & Riemenschnitter, Lucia (2018). Pädagogische Qualität in der Kunstvermittlung. Ein Projekt der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf. BDK-Mitteilungen (1/2018).

Hofmann, Fabian (2016). Kunstpädagogik im Museum. Begriffe ; Theorien ; Grundlagen (1. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer Verlag.